Ausstellungskatalog: Konstantin der Große. Hrsg. Alexander Demandt und Josef Engemann. Trier/Mainz 2007.

II.4.34 Seidenfragment mit Spuren einer Stickerei aus dem Paulinusgrab

 

 

a)

Holzrahmen mit Textilfragmenten aus dem Paulinusgrab

1.-4. Jh.
Trier, St. Paulin; aus dem Sarg des Bischofs Paulinus (1883)

Seide

Trier, Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum (Leihgabe des Katholischen Pfarramtes St. Paulin)

 

Im Juni 1883 wurde der schwere Steinsarkophag des Bischofs Paulinus geöffnet. Es kam ein Holzsarg zu Tage und mit diesem u. a. zahlreiche Fragmente unterschiedlicher Seidengewebe. Einige dieser Fragmente stellte man anschließend exemplarisch in dem hier gezeigten Holz-Glas-Rahmen zusammen. Die Beschriftungen und Zeichnungen, die den Fragmenten mitgegeben wurden, lassen noch deutlich die doppelte Absicht dieser Präsentation erkennen: Alter und Bedeutung des Heiligen konnten durch die Seidenfunde, die man (zu Recht) als spätantik einordnete, betont werden. Ebenso konnte man dem Interesse an Technik und Dekor von Geweben Rechnung tragen, das zu dieser Zeit überall erwacht war. Die Tatsache, dass die Erklärungen doppelt angebracht wurden - nämlich so, dass sie auf beiden Seiten des Rahmens gelesen werden konnten -, unterstreicht den dokumentarischen Charakter, den diese Zusammenstellung haben sollte.

 

Drei der ausgestellten Seidenfragmente sind gemustert und zeigen einen kleinteiligen, nur schwer erkennbaren geometrischen Dekor. Allein die Tatsache, dass die Gewebe im Grab eines Bischofs des 4. Jhs. gefunden wurden, datiert ihre Herstellung noch nicht in dieselbe Zeit, denn es könnte sich um ältere Gewebe oder um später hinzugefügte handeln. Eine Reihe von technisch identischen Geweben lässt sich jedoch sicher in antik-spätantike Zeit datieren (Schrenk 2004, 161 f.), weshalb man die Muster und die Gewebetechnik aus dem Rahmen als typisch für Textilien der ersten nachchristlichen Jahrhunderte bezeichnen kann. D. de Jonghe und M. Tavernier untersuchten die Bindungen dieser Gewebe vor allem anhand der Trierer Textilien ausführlich.

 

Wie bei der Beschriftung im vorliegenden Rahmen anklingt und vor allem auch den ersten Veröffentlichungen zu den Geweben zu entnehmen ist (Schaafhausen 1884, 238 f., 241; Schneider 1884, 170, 173), war nicht nur der Tote selbst mit Seide bedacht, sondern auch sein Holzsarg in ein Seidentuch eingeschlagen. Von diesem Tuch stammt das hochrechteckige Fragment links (im Rahmen als "purpurähnliche Seide ... wahrscheinlich Überzug der Lade" bezeichnet). Weitere Fragmente dieses Gewebes befinden sich im Depot des Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseums. In rosafarbener und dunkelroter Seide zeigte das Gewebe in versetzter Anordnung Kreise und kleine Kreuze. Neben der Verwendungsart ist auch die Kombination von Gewebetechnik und Material ungewöhnlich: Es handelt sich um einen Taqueté, d. h. eine Leinwand-Schuss-Kompositbindung, die nur selten bei Seidengeweben auftritt. Üblicherweise waren Taquetés aus Wolle gewebt.

 

Die übrigen Seidenfragmente wurden vermutlich innerhalb des Sarges gefunden. Von größter Bedeutung ist das Gewebe, von dem ein Fragment mit der Bezeichnung "Weiße Seide" rechts im Rahmen ausgestellt ist. Es stammt von demselben Gewebe wie Fragment (b), das Spuren einer aufgestickten Inschrift aufweist, einem Köperdamast oder sog. Blöckchendamast (vgl. Beitrag "Die spätantiken Seidengewebe in Trier" im Begleitband, Kap.8). Ebenfalls von einem Köperdamast stammen die Fragmente rechts unten, als "Schwarze seidene Bänder" tituliert. Auch von diesem Gewebe liegen im Depot weitere Fragmente vor (Abb. 1 im Text des Begleitbandes). In Bindungsaufbau und Musterung ist dieser Blöckchendamast jedoch sicher vom zuvor genannten- bzw. von (b) - zu unterscheiden, so dass damit mindestens drei verschiedene Seidengewebe - in Streifen oder vielleicht auch ehemals als ganze Tücher - im Paulinusgrab nachzuweisen sind. Optisch macht den Unterschied des zuletzt genannten vor allem seine tief violette Farbe klar. Eine Analyse des Farbstoffes, die vom Institute for Cultural Heritage in Brüssel durchgeführt wurde, ergab, dass die Seidenfäden mit echtem Purpur, dem Farbstoff, den man aus dem Drüsenextrakt der Purpurschnecke (murex trunculus) gewann, gefärbt wurden. Neben Gold war dies das teuerste Material, das in antiker und spätantiker Zeit für den Dekor von Textilien verwendet wurde. Die eingeschlagenen Kanten oben und links (die auch bei zwei Fragmenten im Depot nachzuweisen sind) könnten darauf hinweisen, dass dieses kostbare Gewebe unter den Geweben des Paulinus als streifenförmige Applikation verwendet worden war. Insgesamt wurden vielleicht in noch größerem Maße als heute nachvollziehbar teure und aufwendige Gewebe in diesem Grab verwendet, denn Friedrich Schneider erwähnt in seiner Publikation sogar Goldfäden, die im Sarg gefunden wurden (Schneider 1884, 170).

 

Von eigener Bedeutung sind die beiden "Byssus" genannten textilen Reste. Mit Byssus bezeichnet man heute Gewebe, die aus dem Faden bildenden Sekret der "Edlen Steckmuschel" (pinna nobilis), der sog. Muschelseide, erstellt wurden (Maeder/Hänggi/Wunderlin 2004). In der Vergangenheit verwendete man diese Bezeichnung allerdings sehr uneinheitlich und oft vom optischen Eindruck geleitet. Eine eingehende Betrachtung durchs Mikroskop ergab im vorliegenden Fall keinerlei Hinweise auf Muschelseide. Vielmehr ist anzunehmen, dass es sich um die üblichen Fasern der Seidenspinnerraupe (bombyx mori) handelt. Im als "Gelblicher Byssus" bezeichnete Knäuel - in der Mitte des Holz-Glas-Rahmens oben - befinden sich weitere Fragmente eines Köperdamastes, so dass die Vermutung nahe liegt, es handele sich um die aufgelösten Teile eines der anderen Seidengewebe. Wohl eine pflanzliche Faser, nicht Seide, liegt mit dem als "Weißer Byssus" bezeichneten Gewebefragment vor. Seine geringe Größe und das Fehlen jedweder Verarbeitungs- und Verwendungsspuren erlauben keine weiteren Rückschlüsse auf seine ehemalige Funktion.

 

Ob die "Seidene Kordel" in der Mitte des Rahmens tatsächlich ursprünglich "zur Umwicklung des Byssus" gedient hat und warum sie so hätte verwendet worden sein sollen, lässt sich heute nicht mehr bestimmen. Möglicherweise bestand hier ein Zusammenhang mit der Sicherung des Leichnams auf seinem langen Transportweg von Phrygien nach Köln, wie Schneider (1884, 170) zu überlegen gibt.

 

Bei den Blättchen ist nur zu vermuten, dass sie dem Toten zur Zierde oder aus Gründen des Wohlgeruches mitgegeben wurden, wie sich dies in zahlreichen Bestattungen nachweisen lässt. Genauer bestimmt wurden die pflanzlichen Überreste bisher nicht.

 

 

Textilanalysen:

 

Seidengewebe "Weiße Seide"

H. (Schussrichtung) 20,9 cm, B. (Kettrichtung) 14,5 cm

Textiltechnische Bezeichnung: Köperdamast

Kette: Verhältnis: 1 Kettsystem; Material: Seide, Z-Drehung, jetzt gelblich-gräulich; Stufung: 8 Kettfäden; Dichte: 64 Fäden/cm

Schuss: Verhältnis: 1 Schusssystem; Material: Seide, ohne erkennbare Drehung, jetzt gelblich-gräulich; Stufung: 12-16 Schussfäden (nach De Jonghe/Tavernier 2004); Dichte: 72 Fäden/cm Gewebeaufbau: Kettköper 3/1 Z-Grat und Schussköper 1/3 S-Grat im Wechsel mit exakten Gegenbindungen zwischen den beiden Effekten. Die kleinste Einheit eines Blöckchens besteht aus 8 Kettfäden x 12 Schussfäden.
Musterung: Kreuzchen aus vier kleinen Quadraten und ein größeres Quadrat mit quadratischem Mittelpunkt in versetzter Reihung, die diagonal aufeinander gerichteten Ecken der größeren Quadrate verbunden durch ein kleines Quadrat.
Musterrapport (errechnet): 8 x 8 "Blöckchen" ergeben eine Mustereinheit; H. 3,2-4,8 cm, B. 3,2 cm

 

Seidengewebe "Gelblicher Byssus"

H. 11,0 cm, B. 11,5 cm
Textiltechnische Bezeichnung: Köperdamast mit offenen Fadenenden. Die technischen Details des Gewebes konnten nur unzulänglich bestimmt werden.

Kette: Verhältnis: 1 Kettsystem; Material: Seide, Z-Drehung, gelblich-gräulich bzw. rotbraun; Stufung: 8 Kettfäden; Dichte: nicht bestimmt.

Schuss: Verhältnis: 1 Schusssystem; Material: Seide, ohne erkennbare Drehung, jetzt gelblich-gräulich bzw. rotbraun; Stufung und Dichte: nicht bestimmt.

Gewebeaufbau: Kettköper 3/1 Z-Grat und Schussköper 1/3 S-Grat im Wechsel mit exakten Gegenbindungen zwischen den beiden Effekten. Die kleinste Einheit eines Blöckchens besteht aus 8 Kettfäden x ? Schussfäden.

 

Seidengewebe "Purpurähnliche Seide"

H. (Schussrichtung) 26,0 cm, B. (Kettrichtung) 13,1 cm

Textiltechnische Bezeichnung: Taqueté (Leinwand-Schuss-Kompositbindung)

Kette: Verhältnis: 1 Hauptkettfaden : 1 Bindekettfaden; Material von Hauptkette und Bindekette: Seide, Z-Drehung, rötlich; Stufung: 1 Hauptkettfaden; Dichte: 29 Hauptkettfäden/cm, 29 Bindekettfäden/cm
Schuss: Verhältnis: 1 Schuss I : 1 Schuss II; Material Schuss I: Seide, ohne erkennbare Drehung, rötlich; Material Schuss II: Seide, ohne erkennbare Drehung, rosa; Stufung: 1 Passée; Dichte: 76 Passées/cm

Gewebeaufbau: Bindekette bindet die beiden Schüsse par passée in Leinwandbindung; Hauptkette trennt die Schusssysteme mustergemäß.

Musterung: Kreise in gleichmäßiger Reihung mit kleinen Kreuzchen in den versetzten Zwischenräumen.

Musterrapport: H. 1,4 cm, B. 1,3 cm

 

Seidengewebe "Schwarze seidene Bänder"

H. (Schussrichtung) 2,9 cm, B. (Kettrichtung) 6,2 cm

Textiltechnische Bezeichnung: Köperdamast

Kette: Verhältnis: 1 Kettsystem, Material: Seide, Z-Drehung, schwarz-violett; Stufung: 8 Kettfäden; Dichte: ca. 40 Fäden/cm

Schuss: Verhältnis: 1 Schusssystem; Material: Seide, ohne erkennbare Drehung, schwarz-violett; Stufung: 8-12 Schussfäden; Dichte: 40-48 Fäden/cm

Gewebeaufbau: Kettköper 3/1 Z-Grat und S-Grat sowie Schussköper 1/3 S-Grat und Z-Grat im Wechsel mit exakten Gegenbindungen zwischen den beiden Effekten; die kleinste Einheit eines Blöckchens besteht aus 8 Kettfäden x 8-12 Schussfäden.

Musterung: Gitterwerk mit getreppten Rhomben auf den Kreuzungspunkten, gefüllt mit Kreuz aus vier kleinen Quadraten; in den Feldern des Gitters in senkrechten Reihen im Wechsel getreppte Rhombe mit quadratischem Mittelpunkt und getreppte Rhombe mit Schachbrettmuster.

Musterrapport (errechnet): 16 x 16 "Blöckchen" ergeben eine Mustereinheit; H. 3,2-4,8 cm, B. 3,2 cm

Verarbeitung: Eine Schmal- und eine Längsseite weisen einen Umbug auf; die beiden Gewebekanten sind einmal eingeknickt und bilden eine versäuberte Ecke.

 

Gewebe "Weißer Byssus"

H. 4,3 cm, B. 6,7 cm

Textiltechnische Bezeichnung: Leinwandbindung

Kette: Bastfaser (?); Drehung: nicht bestimmt, weiß; Dichte: 26 Fäden/cm

Schuss: Bastfaser (?); Drehung: nicht bestimmt, weiß; Dichte: 22 Fäden/cm

Gewebeaufbau: Leinwandbindung

 

"Seidene Kordel"

L. von Kordel 1 ca. 29,0 cm; L. von Kordel 2 ca. 8,0 cm; L. der Fadenreste 6,0 und 3,8 cm

Textiltechnische Bestimmung: Kordel 1: zwei parallel liegende Fäden mit dunklen Abdrücken, Seide, S-Zwirn, rotbraun; Kordel 2: Seide, Z-Zwirn aus zwei Einzelgarnen, S-Drehung, gelbbraun; Fadenreste: Seide, ohne erkennbare Struktur, gelbbraun.

 

"Blätter"

Dm. max. 0,8 cm

Acht Bruchstücke von trockenen Pflanzenresten, graugrün.

Die Purpurfärbung wurde nachgewiesen durch Ina Vanden Berghe, KIK IRPA Brüssel, Dossier 2006.09193. Ina Vanden Berghe danken wir herzliche für ihre große Hilfsbereitschaft.

 

Literatur:

H. Schaaffhausen, Der Sarg des heil. Paulinus in Trier. Jahrbücher des Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinlande 77, 1884, 238-242. -F. Schneider, Die Krypta von St. Paulin zu Trier. Jahrbücher des Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinlande 78, 1884, 167-198. - D. de Jonghe/M. Tavernier, Die spätantiken Köper 4-Damaste aus dem Sarg des Bischofs Paulinus in der Krypta der St.-Paulinus-Kirche zu Trier. Trierer Zeitschrift 40/41, 1977/78, 145-174. - F. Maeder /A. Hänggi/D. Wunderlin, Muschelseide. Goldene Fäden vom Meeresgrund (Basel 2004). - S. Schrenk, Textilien des Mittelmeerraumes aus spätantiker bis frühislamischer Zeit. Die Textilsammlung der Abegg-Stiftung 4 (Riggisberg 2004).

 

 

 

b)

Seidenfragment mit Spuren einer Stickerei aus dem Paulinusgrab

4. Jh.

Trier, St. Paulin; aus dem Sarg des Bischofs Paulinus (1883)

Seide

Trier, Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum (Leihgabe des Katholischen Pfarramtes St. Paulin)

 

Das Seidengewebe wurde 1883 bei der Öffnung des Paulinusgrabes mit zahlreichen weiteren Textilien dem Sarg entnommen (vgl. a), jedoch wohl separat von diesen aufbewahrt (Braun 1910 a, 282). Im Jahr 1910 publizierte Joseph Braun das Fragment in zwei Beiträgen (Braun 1910 a und b). Danach verliert sich seine Spur im Dunkeln, und erst im Jahre 2005 wurde es im Pfarrarchiv von St. Paulin wiederentdeckt.

 

Dank der Möglichkeit zur Konservierung und textiltechnischen Untersuchung kann das kleine Gewebestück nun der Forschung erneut ins Bewusstsein gerufen werden: Das Fragment stammt von demselben Gewebe wie die "Weiße Seide" im Holz-Glas-Rahmen (a). Es handelt sich um einen Köperdamast bzw. sog. Blöckchendamast mit einem kleinteiligen Muster aus Kreuzen und Rechtecken: Zwei ineinander gefügte Kreuze wechseln sich mit zwei ineinander gesetzten Blöckchen ab; in der nächsten Reihe erscheinen dieselben Elemente, jedoch versetzt zur unteren Reihe angeordnet. Hierfür hat man nicht etwa die Seidenfäden verschieden eingefärbt, sondern das Muster wird durch die unterschiedlichen Grate, die die Köperbindung bildet, wahrnehmbar (vgl. den "Die spätantiken Seidengewebe in Trier" im Begleitband, Kap.8 mit Abb. 2). Keines der beiden erwähnten Fragmente besitzt Webkanten oder andere Hinweise, die die ehemalige Funktion erhellen könnten.

 

Das besondere des vorliegenden Fragmentes sind die Spuren einer ehemaligen Stickerei. Zwar sind das Stickmaterial und ein möglicherweise damit appliziertes Gewebe weitgehend vergangen, doch die Einstichlöcher sind noch klar zu erkennen und ergeben folgendes Bild: Es war ein schmaler, quer rechteckiger Rahmen aufgestickt, der Buchstaben umschloss. Rechts ist der Rahmen weitgehend erhalten, zusammen mit zwei an der Schmalseite diagonal abzweigenden Linien. Damit kann die typische Form einer Inschriftentafel rekonstruiert werden, eine sog. tabula ansata. Die Buchstaben, die zu ermitteln sind, lauten (?)L(?)ORENTIAOF, ehemals alle im gleichen Abstand zueinander aufgestickt. Die ursprüngliche Länge der Aufschrift kann nicht mehr erschlossen werden, da links das Gewebe abgebrochen ist. Auch ist links der erste sichtbare Buchstabe nicht mit Sicherheit zu entziffern. Braun war sich im ersten der beiden erwähnten Beiträge sicher, dass hier ein F und L zu ergänzen sei, was er zunächst zu Florentia officina vervollständigte. Er interpretierte diese Aufschrift als eine "Produktionsmarke" (Braun 1910 a, 282), die von einer Seidenweberei in Florenz stamme. Kurze Zeit später nimmt er die konkrete Zuschreibung an Florenz zurück und schlägt zwei andere Rekonstruktionsmöglichkeiten vor: entweder "‘Werkstätte' des Florens" (was auf Lateinisch eigentlich Florentiana ... hätte heißen müssen) oder, auf der Basis von Florentia officinatrix die Übersetzung Florentia - "Werkmeisterin" (Braun 1910 b, 347).

 

Die Tragweite dieser Übersetzungen hatte Braun in allen drei Fällen erkannt: dass nämlich eine lateinisch abgefasste Webmarke auf eine Seidenweberei im Westen schließen ließe, etwa in Italien, oder sogar in Trier selbst. Beides war bis dahin nicht für möglich gehalten worden. Und bis heute sind Seidenwebereien im Westen des Römischen Reiches, genauer: westlich von Persien und den Ländern an der östlichen Mittelmeerküste, nicht nachgewiesen. In der Forschung konnte die Brisanz der Aufschrift bis vor kurzem nur zur Kenntnis genommen, jedoch nicht weiter überprüft werden, da ja das Objekt selbst fehlte (s. z. B. Wild 1987, 470). Nun aber ist die Buchstabenfolge zu verifizieren und, wegen der Form einer Tabula ansata, auch ein in gewisser Weise "dokumentatorischer" Charakter der Aufschrift. Dieser, wie auch die Tatsache, dass die Abkürzung OF tatsächlich für officina bzw. Werkstatt verwendet wurde (etwa bei den Stempeln römischer Ziegeleien) machen die Interpretation als Werkstattzeichen wahrscheinlich. Die genauere Lage dieser Werkstatt ist nun zu überprüfen.

 

Ebenfalls zukünftigen Untersuchungen vorbehalten bleibt eine genauere Analyse des Materials und der Sticktechnik, mit der die Aufschrift gefertigt war. Die mikroskopische Aufnahme zeigt teils noch dunkelviolette Reste von Gewebestrukturen und Fadengebilden, die aus einer faserartigen Seele und körnig verhärtetem Belag bestehen. Braun (1910 a, 283) meinte, einen Faden "aus einem feinern Häutchen" feststellen zu können. Dies konnte jedoch nicht bestätigt werden. Da die wenigen Partikel, die heute noch entlang einiger Einstichlöcher aufliegen, äußerst fragil sind, wurde bis jetzt auf eine weitere Analyse verzichtet.

 

Auch für die Beurteilung der frühen Bestattungen des Bischofs Paulinus besitzt das Seidenfragment mit seiner Aufschrift Bedeutung: Wenn die lateinische Schrift tatsächlich auf eine Herstellung im Westen zurückzuführen ist, dann wurde das Gewebe erst hier um den Toten gewickelt (vgl. Braun 1910 a, 284; Wild 1987, 470), nicht etwa bereits in Phrygien, dem Sterbeort Paulins. Dann müsste in Trier auf jeden Fall eine Öffnung des Zedernsarges, vielleicht sogar eine Art Neubestattung des Leichnams vorgenommen worden sein.

 

 

 

Textilanalyse:

 

Seidengewebe

H. 10,4 cm, B. 13,5 cm; Stickerei: H. 2,7-3,4 cm, B. 10,5 cm

Textiltechnische Bezeichnung: Köperdamast

Kette: Verhältnis:1 Kettsystem; Material: Seide, Z-Drehung, jetzt gelblich-gräulich; Stufung: 8 Kettfäden; Dichte: 52-54 Fäden/cm

Schuss: Verhältnis: 1 Schusssystem; Material: Seide, ohne erkennbare Drehung, jetzt gelblich-gräulich; Stufung: 12 Schussfäden; Dichte: 70-72 Fäden/cm

Gewebeaufbau: Kettköper 3/1 Z-Grat und Schussköper 1/3 S-Grat im Wechsel mit exakten Gegenbindungen zwischen den beiden Effekten; die kleinste Einheit eines Blöckchens besteht aus 8 Kettfäden x 12 Schussfäden.

Musterung: s. o.

Musterrapport (errechnet): 8 x 8 "Blöckchen" ergeben eine Mustereinheit; H. 3,2-4,8 cm, B. 3,2 cm

 

Stickerei

Material: Fadenreste aus textiler Seele mit Belag (?) Schwarz-violett

Technik: Appliziertes Gewebestück (?), Stielstich (?)

Einstichlöcher: Dichte: ca. 6 Löcher/cm; Dm. ca. 0,1 cm

 

Literatur:

J. Braun, Die spätrömischen Stoffe aus dem Sarkophag des Hl. Paulinus zu Trier. Zeitschrift für christliche Kunst 9, 1910, 280-284 [= Braun 1910 a]. - Ders., Nochmals das Gewebe aus dem Sarkophag des Hl. Paulinus. Zeitschrift für christliche Kunst 11, 1910, 348-350 [= Braun 1910 b]. - F. Schneider, Die Krypta von St. Paulin zu Trier. Jahrbücher des Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinlande 78, 1884, 167-198. - J.P. Wild, The Roman Horizontal Loom. American Journal of Archaeology 91, 1987, 459-471.

 

Brigitte Dreyspring/Sabine Schrenk